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Leichtes Gepäck und schweres Herz



Heute vor 8 Monaten landete ich in Amerika. Nur leichtes Gepäck, ohne unnötigen Ballast, das Wichtigste in einem Rucksack. Laptop und Kamera im Handgepäck, auf ins Abenteuer. In ein neues Kapitel, welches mein Leben auf den Kopf stellte. Mich um Erfahrungen, Ziele, Freunde bereicherte und mich jeden Tag neue Dinge lehrt.

Besonders heute denke ich daran, wie ich mich gestern vor acht Monaten mich noch in letzter Sekunde zwischen der Wohnungsauflösung, einigen Formalitäten, Abschieden von der Familie und den letzten Vorbereitungen für den "Count of Monte Cristo" vierteilte. Wie wir in der Nacht endlich die Premiere feierten, tanzten, sangen, die Zeiger der Uhr sicher immer wieder und wieder über die 12 bewegten, viel zu schnell. Die letzten Fotos, 1: 50 am Morgen, die letzten guten Wünsche, Umarmungen, mach es gut, melde Dich, gute Reise. Maxie, Silvie, Ben, die im Rückspiegel verschwinden.

Mir war bewusst, dass ich ein Jahr fort sein werde. Mir war auch bewusst, dass ich eigentlich kein Mensch bin, der Heimweh hat.
Und dennoch, es gibt Momente, in denen mir schmerzlich bewusst wird, dass unser Neverland nur ein temporärer Zufluchtsort ist. Wenn mich schlechte Nachrichten von daheim erreichen. Wenn ich mir Sorgen um ein Familienmitglied mache. Wenn wir von Wut, Chaos und Angst in den Nachrichten hören. Wenn Zukunftsängste an mir nagen. Wenn mir bewusst wird, was ich aufgegeben habe. Wenn meine Gedanken auf das Konjunktiv 2 schalten und ich daran denke, was gewesen wäre, oder hätte sein können, wenn ich nie fortgegangen wäre. Wenn ich daran denke, dass ich noch heute vor neun Monaten mit einem Glas Wein im Fenster saß, die kühle Abendluft der Vollmondnacht einatmete und nicht ahnte, wie sehr ich mich und mein Leben sich verändern würde.
Wenn Freunde mir schreiben, dass sie mich brauchen - oder noch schlimmer, wenn sich der Gedanke einschleicht, dass sie mich nicht brauchen. Weil sich die Welt weiterdreht. Scheinbar gibt es auch so etwas wie Heimweh nach Personen.

Aber natürlich gibt es auch Momente, in denen ich hier pure Lebensfreude verspüre wie nie zuvor. In denen ich die Augen schließe und vergesse, dass wir hier eigentlich nur in unserer kleinen, surrealen Märchenwelt leben. In denen ich mein Herz voll und ganz für diesen Augenblick öffnen kann und es mir nicht einmal in den Sinn kommt, dass außerhalb dennoch Zukunft, Sorgen, das "reale" Leben ihre Tentakel um unsere Disneyblase schließen.

Das sind die Momente, in denen ich mich in unserem Nimmerland daheim fühle.
In denen jede Erfahrung und Reise die Welt ein Stück näher rücken lässt. Denn mit jeder glücklichen Erinnerung, mit jeder Freundschaft wird ein neuer Ort zu einem kleinen Stück Heimat.
Und jede Woche werden die weißen Flecken weniger auf der Landkarte, die sich Zuhause nennt.
Wenn uns vor Lachen die Tränen kommen, während die Sonne vor der Küste der Florida Keys untergeht. Wenn wir Beignets unter perlenbehangenen Bäumen in New Orleans essen. Wenn mich Chip und Dale mal wieder in eine feste Umarmung schließen. Wenn wir mit dem Hogwarts-Express fahren. Wenn wir Montags in Kojak's Cab sitzen. Wenn der Frühling hier mich an den Frühsommer in Deutschland und ein Picknick auf der Hofgartenwiese erinnert, fühle ich  mich sogar an zwei Orten zuhause. Wenn ein Freund oder eine Freundin abreist, fehlt zuerst ein Stück, doch die Erinnerungen bleiben und gleichzeitig wird ein neuer Ort zu einem kleinen Stück Heimat. Weil ich weiß, dass wir uns wiedersehen, wir beieinander willkommen sind, und es so sein wird, als sei nie ein Tag vergangen. Sei es in Namibia, Mexiko, Alabama oder Neustadt an der Weinstraße.

Und weil all das für mich Heimat ist, weiß ich gar nicht genau, wieso wir diesen Anflug von Traurigkeit, der sich manchmal anschleicht, eigentlich als Heimweh bezeichnen.

Ich weiß noch nicht, was das Leben für mich bereit hält. Ob ich wie erträumt in Irland, UK oder eben den Staaten einen Job finde. Doch egal wo es sein wird, ich werde Zuhause sein.

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